Laudatio Univ. Prof. DDr. Mag. Matthias Beck
Laudatio Univ.-Prof. Mag. DDr. Matthias Beck (Transkipt)
Matthias Beck ist Pharmazeut, Mediziner, Philosoph, Katholischer Theologe und Priester / Dr. med. Dr. theol., habilitiert in Theologie, Prof. für theologische Ethik/Medizinethik
Exzellenz, lieber Professor Huber, meine sehr verehrten Damen und Herren,
als man mich fragte, ob ich für Prof. Huber die Laudatio halten würde, habe ich gesagt „Ja, gerne.“, aber es gäbe doch viel Berufenere und ältere Weggefährten, die ihn vielleicht viel besser kennen als ich. Ich freue mich aber dennoch sehr über diese Ehre, der Laudator sein zu dürfen und denke doch, dass ich viel zu jung bin und eigentlich gar nicht viel von ihm weiß.
Also kann ich nur über das sprechen, was bis heute geworden ist. Der Philosoph Heidegger sagt „Wir Menschen sind die in die in die Welt Geworfenen“, und jetzt müssen wir etwas mit diesem Leben anfangen – und Sie haben etwas damit angefangen, es ist etwas Gutes daraus geworden. Heidegger sagt auch, es gäbe gar keine Vergangenheit, da sie ja vergangen ist und somit nicht mehr „ist“. Also gibt es nach Heidegger nur die Gegenwart der Vergangenheit und es gibt nach ihm auch keine Zukunft, denn sie ist noch nicht da. Aber es gibt die Gegenwart der Zukunft und es gibt die Gegenwart der Gegenwart. Es „gibt“ also eigentlich nur die Gegenwart: jene der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft. Sie fallen im Jetzt zusammen.
Ich möchte daher zusammenfassen, wie ich Sie in den letzten 20 Jahren erlebt habe. Unsere erste Begegnung war auf einem Kongress in Salzburg. Ich kam frisch aus Bayern, Sie sagten etwas über Thomas von Aquin und ich meldete mich zu Wort und sagte „Herr Professor, das stimmt so nicht, was Sie da sagen.“. Sie haben es dann ganz galant beiseitegeschoben und gesagt „Auf diesen Beitrag müssen wir jetzt nicht weiter eingehen.“ Und dann dachte ich mir, wie man in Österreich wohl miteinander umgeht. Ich würde das nie wieder sagen, heute würde ich sagen: Ich möchte ihre Aussagen ergänzen. Mein Vater, der in der Pharmaindustrie tätig war, hat immer gesagt: Wir nehmen gerne österreichische Vorstandsvorsitzende, sie sind so diplomatisch. Also da können sich viele Deutsche etwas von der österreichischen Diplomatie abschneiden. Ich bin jetzt 20 Jahre in Wien und lerne langsam, die einzelnen Mentalitäten zu unterscheiden.
Was möchte ich an den Anfang stellen, wenn ich über Sie nachdenke? Das erste wäre der kurze Satz, der an vielen Kirchtürmen steht: Carpe diem, nutze die Zeit, pflücke den Tag. Wir haben jetzt einige Reisen zusammen gemacht, ich habe Sie auf Kongressen als exzellenten Wissenschaftler kennen gelernt – als Freund, wenn ich inzwischen so sagen darf -, und habe den Eindruck, dass Sie keine Minute Ihres Lebens versäumen wollen, alles ist immer sehr dicht gepackt, aber nicht hektisch. Sie nutzen den Tag, sie verschwenden keine unnötige Zeit.
Ein zweites Motto Ihres Lebens stammt aus dem Neuen Testament: Du hast fünf Talente bekommen, mach zehn daraus! (nach Lk 19,13). Gemeint ist damit nicht, die erhaltenen Talente einfach nur zu nutzen, sondern sie zu vermehren und das heißt, neue hinzuzugewinnen, die zunächst gar nicht im Blick waren. Und Sie haben Ihre Talente sehr vermehrt: Medizin, Theologie, Kultur, Geschichte, Arzt, Wissenschaftler. Sie bewegen sich auf allen Gebieten mit der gleichen Leichtigkeit: Östrogene, Testosteron, Eizellen, Spermien, Spermidin, ebenso Aristoteles, Thomas von Aquin, Pico della Mirandola, Immanuel Kant. Eine echte Exzellenz auf verschiedenen Gebieten. Und damit haben Sie ein Stück weit dieses Evangelium eingelöst: Mach mehr aus dem, was du schon mitbekommen hast! Vermehre Deine Talente, gewinne Neues hinzu.
Ein dritter Punkt Ihres Lebens scheint mir zentral zu sein: er kommt aus der griechischen Philosophie. Es geht um die vier Tugenden des Aristoteles: Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Maß. Zunächst die Klugheit: Quidquid agis, prudenter agas et respice finem. (= Was immer du tust, tue es klug und bedenke das Ende). Man sieht bei Ihnen, dass sie breit aufgestellt sind, einen weiten Blick nach vorne haben, oft das ganze umfassende Problem erkennen (z.B. bei Patientinnen) und gleichzeitig sehr präzise arbeiten. Das höre ich immer wieder. Ich war zwar noch kein Patient bei Ihnen – obwohl es schon passieren könnte, denn ich gab nach meiner Priesterweihe einmal einer Dame einen Handkuss und sie sagte: »Das dürfen Sie jetzt nicht mehr!« Ich fragte »Warum?« und die Antwort war: Weil Sie jetzt als Priester im Range einer älteren Dame stehen. Also vielleicht wird ja noch was draus.
Ihre große Breite und Tiefe, der Blick aufs Ganze (der holistische Mensch), ihre Gründlichkeit sowie die Liebe zum Patienten, das ist es, was sie als Arzt und Wissenschaftler ausmacht. Wir waren jetzt gemeinsam in Israel und Sie wollten immer ganz genau wissen, welcher Stein wo gelegen hat, ganz genau, ganz präzise. Ich glaube, dass für die heutige Zeit beides wichtig ist: der große Blick für das Ganze und die Präzision des Blickes für das Detail – das nenne ich katholisch, allumfassend. Ob das römisch-katholisch ist, lieber Herr Bischof, lasse ich offen, aber katholisch ist es.
Die nächste Tugend ist jene der Gerechtigkeit: Da gibt es die Tauschgerechtigkeit im Sinne von fairen Geschäften, Verteilungsgerechtigkeit im Sinne der gerechten Umverteilung endlicher Güter, vor allem aber die personale Gerechtigkeit, die versucht, dem anderen gerecht zu werden. Mir scheint, sie wollen ihren Patienten und ihren Mitmenschen möglichst gerecht werden. Wir waren gemeinsam bei einem Kongress zum Thema „Die Macht der Frau“ und Sie haben die Damen evolutionsgeschichtlich positiv hervorgehoben, um ihnen gerecht zu werden - ich übrigens auch, u.a. wegen der großen sozialisierenden Leistungen vor allem der Mütter. Das hat uns Vorwürfe eingebracht, denn das darf man nicht sagen, man darf das Muttersein nicht loben, denn sonst reduziert man Damen auf diese Rolle, was wir beide gar nicht wollten. Aber so muss man eben aufpassen.
Ich habe Sie kennengelernt als jemanden, der dem oder der anderen gerecht werden will, ihn oder sie in seinem und ihrem Sosein erfassen will. Sie hören genau zu, achten auf jedes Detail, haben das Ganze im Blick, wollen vieles genau wissen, interessieren sich für die Welt und den anderen, können zwischen den Zeilen lesen, das nennt man intelligent. Das Wort Intelligenz kommt von „intus legere“, drinnen lesen, zwischen den Zeilen lesen, hinter die Kulissen schauen. Deswegen ist der Computer nicht intelligent, weil er gerade dies nicht kann. Der Mensch kann Fragen stellen und nach dem Absoluten Ausschau halten. Man kann auch sagen, der Mensch ist immer schon auf das Absolute ausgerichtet, sonst kann er das Relative nicht als relativ erkennen - so hat es der Philosoph Hegel formuliert. Und man könnte hinzufügen: Der kluge Mensch ist nicht nur auf das Absolute ausgerichtet, sondern er wendet sich diesem Absoluten auch ausdrücklich zu.
Der kluge Mensch ist der im besten Sinne religiöse Mensch. Vielleicht ist am Ende derjenige der Dumme, der heute den Christen als dumm und rückständig belächelt. Jean-Paul Sartre hat einmal in etwa gesagt: Ich habe den Atheismus bis zum Ende durchbuchstabiert und es war das komplizierteste Unterfangen meines Lebens. Der wirkliche Atheismus ist kontraintuitiv, weil der Mensch von Haus aus auf eine andere göttliche Dimension ausgerichtet ist. Das ist schon innerweltlich so. Es ist nie genug. Der Mensch will immer mehr. „Höher, schneller, weiter“ heißt es im Sport. Hier steckt etwas Richtiges drin. Der Mensch übersteigt den Menschen um ein Unendliches, so hat Blaise Pascal es formuliert. Man nennt dies die Transzendenz des Menschen. Wir sollen uns je neu überschreiten.
So kann man versuchen, im Falschen etwas Richtiges zu entdecken, dass z.B. auch der Rauschgiftsüchtige Sehnsucht hat nach einer ganz anderen Welt. Aber er wählt den falschen Weg, er wird auf Dauer nicht freier sondern immer unfreier. Etwas Richtiges im Falschen zu entdecken, kann man auch als eine Hermeneutik des Wohlwollens bezeichnen. Das Beste aus dem anderen herausholen. So etwas haben Sie auch in sich: Wenn jemand mit Ihnen diskutiert, versuchen Sie, das Beste aus seiner Aussage herauszuholen. So wie es Ignatius von Loyola gesagt hat: Versuche eher die Aussage eines anderen zu retten als sie zu verdammen. Verstärken wir das Richtige, dann kommt auch für die anderen etwas Gutes dabei raus. In Ihrer Nähe fühlt man sich nicht klein, sie richten den Menschen nicht zugrunde, sondern sie richten ihn auf. Allerdings gibt es auch einen gewissen Sarkasmus, wenn jemand Ihnen allzu dumm kommt. Aber auch dieser Sarkasmus ist vorsichtig und diplomatisch formuliert.
Also das Erste bei Ihnen ist: Carpe diem, nutze den Tag, das Zweite die Vermehrung der Talente, das Dritte die aristotelischen Tugenden. Das „Carpe diem“ ist das Gegenteil jener Untugend, die die Tradition die Acedia nennt. Die Acedia ist der sogenannte Mittagsdämon, die Trägheit, das innere Erschlaffen, der Verlust an innerer Spannkraft. In einem Bild: Man kann ein Glas Wasser immer etwas voller füllen als es fassen kann aufgrund der Oberflächenspannung des Wassers. Wenn man dann einen Tropfen „Pril“ als Spülmittel hineingießt, verliert das Wasser seine Oberflächenspannung und fließt über. Es „erschlafft“ – das ist die Acedia: Die innere Erschlaffung des Menschen, der Verlust an innerer Spannung (nicht Verspannung), an Gesammeltheit. Sie sind genau das Gegenteil: Gesammelt, in guter innerer Versammlung und Anspannung: „Achtung, fertig, los!“ Der Christ muss immer wachsam sein. „Wach auf, du tote Christenheit!“
Zu dieser Wachsamkeit gehört auch das Interesse an der Welt, den Menschen und neuen Ideen. Lange Zeit galt in der katholischen Kirche der Satz: „Frag nicht so viel“, glaube einfach, das ist ein Geheimnis. Neugierde galt einige Zeit als Sünde. Das aber ist falsch. Wir dürfen nicht weniger fragen, sondern wir müssen mehr fragen! So hat auch Thomas von Aquin einen seiner fünf Gottesbeweise aufgebaut: Du fragst etwas, du suchst etwas, du suchst einen Grund, du suchst immer weiter, du kommst auf einen letzten Grund – und diesen letzten Grund nennen alle Gott. Gott ist nicht der Übervater, der alles beobachtet und kontrolliert, sondern er ist der Grund von allem. Dafür gibt es ein schönes lateinisches Wort: Substanz – sub stare „darunter stehen“. Gott will dem Menschen von innen her Halt geben, ihn von unten her groß machen, nicht klein machen. Es geht im Christentum um die Auferbauung und Stärkung des Menschen, gerade in heutiger unsicherer Zeit. Es geht darum, dass jeder einzelne Mensch von seinem innersten Grund aus wächst und Frucht bringt. Das deutsche Wort „Grund“ kommt aus der mittelalterlichen Mystik und bezeichnet dort den Seelengrund des Menschen. Es geht um die Entfaltung des Inneren und um eine innere Autorität, die den Menschen von innen her wachsen lässt. Autorität kommt von augere: Wachsen lassen. Auch Sie haben etwas von dieser inneren Autorität: Sie helfen dem Menschen auf und versuchen, ihm zu zeigen, wie er zur Entfaltung kommen kann. Sie können das, weil sie den Dingen auf den Grund gehen. Sie sind im besten Sinne gründlich. Das ist zutiefst christlich: Weiterfragen, um auf den letzten Grund zu kommen.
Die dritte Tugend ist die Tapferkeit. Heute ist diese Tugend wohl eher mit Mut oder Zivilcourage zu übersetzen. Sie sind mutig, Sie stehen für das ein, was Sie für richtig halten. Damit stehen Sie immer mit beiden Beinen im „Gefängnis“: für die katholische Kirche sind Sie zu liberal z.B. im Kontext von Sexualmoral und In-vitro-Fertilisation (IVF) und für die Welt sind Sie ein rückwärtsgewandter Katholik. Auch mir sagen manche Katholiken, ich dürfe ja in der Bioethikkommission gar nicht sitzen, weil wir dort im Rahmen der Diskussion um das neue Fortpflanzungsmedizingesetz über die IVF gesprochen haben und man sagte mir, wir würden ja dort im Raum der Sünde diskutieren. Sie wissen, dass die katholische Kirche diese IVF kategorisch ablehnt. Das kann man interpretieren, wie man will. Aber was mich daran ärgert ist, dass die katholische Kirche mit einer sehr apodiktischen Position alles ablehnt und die Welt nahezu beliebig alles macht. Und da gibt es keine Brücke. Wenn wir ernstgenommen werden wollen, müssen wir aber diese Brücke bauen. Sie sind ein solcher Brückenbauer zwischen Naturwissenschaft und Theologie bzw. dem christlichen Glauben und der Welt. Ich sage noch nicht der Pontifex Maximus (das könnte noch kommen), aber vielleicht ein kleiner Pontifex (Anm.: Das lateinische Wort pontifex heißt wörtlich „Brückenbauer“, zusammengesetzt aus pons „Brücke“ und fixum „befestigt“, „gebaut“, Pontifex Maximus war auch ein inoffizieller Titel für römische Päpste).
Also, lieber Prof Huber, Sie nützen den Tag, vermehren Ihre Talente, sind klug, gerecht, sie werden dem Menschen gerecht, sie sind mutig, mischen sich ein und verscherzen es sich manchmal mit beiden Seiten. Sie halten es aus. Und was braucht man dazu, um es auszuhalten? Die rechte Maß, die vierte Tugend. Wir brauchen Exzellenz, aber mit dem rechten Weg und dem rechten Maß. Sie halten Maß im Essen und Trinken. Ich habe mir überlegt, dass ich auch irgendwas Negatives bei der Laudatio sagen müsse, mir ist aber nicht viel eingefallen außer die Sache mit dem Maß. Sie trinken meistens ein bis maximal zwei Gläser Wein und gehen oft bald nach Hause. Ich dachte: wie wäre es mal mit einer durchzechten Nacht oder heute wenigstens bleiben Sie mal etwas länger auf ein paar Glas Wein. Also ein Mann des Maßes, immer konzentriert, fokussiert, klug und gerecht.
Wir sind gemeinsam viel gereist – Rom Madrid, England, Israel, bald Armenien. Sie waren im Oman, in China und vielen anderen Ländern dieser Welt. Sie kennen sich gut aus in den Kulturen und fragen z.B. Archäologen immer wieder ganz präzise: „Wie war das jetzt genau…?“ Und dann haben Sie immer Ihren kleinen Block dabei und schreiben alles genau auf. Und ich denke mir: haben Sie sich auch alles gemerkt? Und siehe da, beim nächsten Vortrag ist alles da. Und dann kommt die Wissenschaft hinzu: Sie haben 30 Bücher geschrieben, über 400 Publikationen, Sie waren in Amerika, sie schreiben schon wieder an einem Buch und ich denke mir: Wie macht er das alles? Wahrscheinlich weil er Maß hält, weil er fokussiert ist.
Über Ihre Biographie kann jeder selbst nachlesen – Sie hatten am 31. Mai Geburtstag, herzlichen Glückwunsch! Theologie, Medizin, Bioethikkommission, viele Streitigkeiten, Schwarz gegen Rot, für die Kirche zu vorwärtsgewandt, für die Welt zu rückwärtsgewandt. Im säkularen Umfeld muss man philosophisch argumentieren und das haben Sie auch im Studium gelernt. Wir können in der heutigen Zeit nicht mehr nur mit dem „lieben Gott“ argumentieren, sondern müssen philosophische Argumente finden. Auch die Priester müssten philosophisch besser ausgebildet werden. Wir müssen uns in der säkularen Welt gut ausdrücken können, wir brauchen auch mehr naturwissenschaftliches Wissen. Die Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften ist eine Aufgabe, die das Zweite Vatikanische Konzil uns gestellt hat, Sie setzen es um.
Ich habe mal einen Vortrag vom Dalai Lama gehört, in dem er sagte: Wenn die Naturwissenschaft etwas erforscht, das dem Buddhismus widerspricht, dann müssen wir die buddhistische Lehre ändern. Von einem Islamwissenschaftler hörte ich einmal – das gilt aber nicht für den gesamten Islam – dass die Naturwissenschaftler ihre Meinung ändern müssen, wenn sie etwas erforschen, was dem Koran widerspricht. Wir Katholiken sind da genau in der Mitte. Wir wollten dem Kopernikus und dem Galileo Galilei sagen, ob die Sonne sich jetzt um die Erde dreht oder umgekehrt. Wir haben in manchen katholischen Kreisen noch immer Probleme mit der Evolutionstheorie (obwohl es da gar keine Widersprüche zur Theologie gibt) und mit Sigmund Freud haben wir uns auch lange Zeit schwergetan. Aber man kann die naturwissenschaftlichen und psychologischen Erkenntnisse gut in die Theologie integrieren, die Theologie kann sogar davon profitieren. Sie schaffen diese Integration in hervorragender Weise.
Warum ist das alles so gut integrierbar, warum ist die Botschaft des Christentums allumfassend? Weil wir die Botschaft des Logos haben. Logos ist die griechische Übersetzung des hebräischen Wortes dabar. Und dabar heißt „sprechen“ und „handeln“. Das Volk Israel geht davon aus, dass Jahwe zum Volk gesprochen und an ihm gehandelt hat. Er befreite das Volk aus der Knechtschaft Ägyptens. Der Begriff dabar wurde dann mit λόγος (lógos) ins Griechische übersetzt und dann ins Deutsche mit „Wort“. Das ist allerdings zu wenig. Gott ist der Logos, Gott ist die Urvernunft. Der göttliche Urgrund ist aus christlicher Sicht ein Beziehungsgeschehen zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist. Es findet ein ständiger Dialog zwischen diesen drei Personen statt. So könnte man sagen: der Urgrund des Seins ist Wechselwirkung und Dialog. Diese Wechselwirkungen und das dialogische Geschehen finden wir auch in der Natur, sie ist ja von Gott geschaffen. Wir finden die Wechselwirkungen und Interaktionen in der Quantenphysik und das dialogische Geschehen sowie die Kommunikation in der Biologie mit den genetisch-epigenetischen Verschaltungen.
In der Medizin tritt immer mehr die personalisierte Medizin in den Vordergrund und der einzelne findet immer mehr Beachtung. Im Neuen Testament haben wir sehr viele Heilungsgeschichten. Das Christentum ist eine heilende Religion. Auch hier gibt es eine enge Beziehung zwischen Medizin und Theologie. Wie haben die eine Welt, den einen Kosmos, den einen Logos und können diese eine Welt aus den unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen betrachten. Der göttliche logos ist anwesend in der Theo-logie, in der Bio-logie, der Psycho-logie, der Sozio-logie und vielen anderen Wissenschaften. Es gibt also eine enge Beziehung von Theologie und Naturwissenschaften, von Theologie und Medizin. Es zeigt sich die Einheit in Verschiedenheit, die im dreifaltigen Gottesbild grundgelegt ist. Man muss die Wissenschaften strikt voneinander unterscheiden, darf sie aber nicht total voneinander trennen. Das ist auch die Aussage des Dogmas von der Zwei-Naturen-Lehre Jesu (ganz Gott und ganz Mensch). Diese Naturen sind unvermischt und ungetrennt. Dieses „Unvermischt“ und „Ungetrennt“ ist eine Grundstruktur des Seins und kann auch auf das Zueinander der Wissenschaften angewendet werden. Man darf die Wissenschaften nicht vermischen, sollte sie aber auch nicht total voneinander trennen.
Der Philosoph Hegel hat diese Struktur etwas philosophischer ausgedrückt: Es geht um die Identität von Identität und Differenz, also um die Einheit von Einheit und Verschiedenheit. Sie zeigt sich im christlichen Gottesbild, in der Struktur der Welt und in dem Zueinander der Wissenschaften. Der eine Gott in drei Personen ist in sich die Liebe, er kann die Welt aus Liebe und Freiheit schaffen und so hat auch der Freiheitsgedanke der westlichen Demokratien mit dem christlichen Gottesbild zu tun. Es beginnt im Judentum mit der äußeren Befreiung des Volkes Israel und wird fortgesetzt im Neuen Testament mit der Befreiung jedes einzelnen Menschen zu sich selbst und seiner tiefsten Identität. Nimmt man die Aufklärung hinzu mit dem Begriff der Menschenwürde und den daraus abgeleiteten Menschrechten, dann zeigt sich, dass das Christentum auch für die Politik eine entscheidende Rolle spielt. Im Hintergrund steht die Aussage des Hl. Paulus, dass vor Gott alle Menschen gleich sind.
So haben wir, meine Damen und Herren, in unserem Christentum alles drinnen, was wir zur Bewältigung der Welt und unseres eigenen Lebens benötigen. Wir haben den Gott der Liebe, der sich selbst genug ist und die Welt aus Freiheit schaffen kann, er ist die Einheit in Verschiedenheit und verkörpert Pluralität. Wir haben mit dem Logosgedanken auch den Bogen zu den Naturwissenschaften. Wir brauchen uns vor gar nichts zu fürchten. Wir müssen nur eines tun - und daran arbeiten Sie, lieber Prof. Huber, in hervorragender Weise mit -, wir müssen „nur“ unsere Gottesbilder korrigieren. Wir müssen vom heilenden Gott sprechen, vom vernünftigen Gott, vom befreienden und erlösenden Gott und wir müssen groß von ihm und vom Menschen sprechen. Wir brauchen ein aufgeklärtes Christentum, das die Naturwissenschaften integriert und dem Menschen erklärt, wozu das Christentum da ist und was es für den Alltag der Menschen „bringt“. Wir sind gerade aus Israel zurückgekommen und haben überlegt - ob wir’s tatsächlich tun, steht noch aus - ob wir einen „Club“ für ein aufgeklärtes Christentum gründen wollen. Dieser Club würde sich - wie es das II. Vatikanische Konzil fordert – mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaften auseinandersetzen und von dort aus die Theologie mitgestalten. Wir wären damit direkt dran am konkreten Leben.
Dieses aufgeklärte Christentum würde anschließen an die erste Aufklärung durch Immanuel Kant. Dort wurde gesagt, dass wir selbständig denken und uns aus unserer selbstverschuldeten Unmündigkeit befreien sollen. Das wäre heute für das Christentum weiterzuentwickeln: Wir brauchen vor allem Diskussionsforen, wo alles diskutiert werden kann, es muss alles auf den Tisch. Wenn wir nur weit genug denken, kommen wir auf einen letzten Grund und diesen nennen alle Gott. Also weg mit der Angst vor Gedankenfreiheit, weg mit der Angst vor Naturwissenschaften, weg mit Angst vor der Psychologie. Wir haben alles in unserem Gottesbild, die Einheit in Verschiedenheit, die eine Welt in der Betrachtung durch die verschiedenen Wissenschaften, die Pluralität in der Gesellschaft. Wir müssen diese Einheit in Verschiedenheit nur hervorheben und klarmachen, dass diese in unserem Gottesbild grundgelegt ist. Dies ist auch für Europa von höchster Bedeutung, dass der Einzelne hochgeschätzt und gefördert wird und dass in diesem einen Kontinent die Verschiedenheit von Sprachen und Kulturen gepflegt werden. Dieser Kontinent hat ein große geistig-geistliche Geschichte und ein hohes geistiges Potential. Dieses darf nicht verspiel werden.
Lassen Sie es mich zusammenfassen: Carpe diem, Talente vermehren und die vier griechischen Tugenden von Klugheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Maß. Hinzu kommen in Ihrem Leben - wie selbstverständlich - die drei christlichen Tugenden von Glaube, Hoffnung und Liebe. Sie prägen ihr Leben: Der Glaube als tiefe Verankerung im Göttlichen, im christlichen Glauben und der Kirche. Die Hoffnung, die den Blick immer nach vorne auf das je Größere offenhält. Schließlich ist es Ihre Liebe - Sie haben es selbst gesagt - zu den Patienten, zur Welt und zur Wissenschaft. Ich weiß nicht, ob das zu weit geht, aber ich möchte zum Abschluss noch was vorlesen, was eine Schülerin von Ihnen über Sie gesagt hat. Ich bin für diese Worte nicht verantwortlich, aber ich finde, sie sind eine gute Beschreibung von Ihnen. Wörtliches Zitat und damit ende ich dann: „Gäbe man mir einen Pinsel, um Herrn Professor Huber zu portraitieren, so würden seine tausend schillernden Farben am ehesten dreischichtig zum Erstrahlen kommen: 1.) Die innerste Schicht in Öl getüncht - kräftig, authentisch, farbecht, beständig. 2.) Die mittlere Schicht in Pastell laviert- feinfühlig, sanftmütig, intellektuell, warmherzig. 3.) Die äußerste Schicht mit neonfarbenem Spray markiert, witzig, pointiert, scharfsinnig, charismatisch, unterhaltsam, zeitgeistig. Die Betrachtung dieses anziehenden und interessanten Portraits hinterlässt einen bleibenden Eindruck eines Menschen, der als vielseits geschätzter und hoch angesehener Kollege, Vorstand und Mentor einiger Glücklicher zählt, deren berufliche Laufbahn er früh epigenetisch geprägt hat.“ Besser kann man es kaum sagen.
Lieber Herr Professor Huber, ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zu diesem Preis und der Verleihung der Opilio Rossi Medaille. Wer anderes als Sie sollte diesen Preis in diesem Jahr bekommen? Sie sind ein würdiger Preisträger für ein gelungenes Laienapostolat, das die Brücke schlägt zwischen Naturwissenschaft und Glaube: in ihrem Leben und in der Wissenschaft. So wollte es Kardinal König und so wollte es Kardinal Opilio Rossi mit der Ihnen verliehenen Medaille zum Ausdruck bringen. Sie haben sie sich verdient für Ihr Laienapostolat, ihren Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie und ihr Eintreten für ein aufgeklärtes Christentum. Damit haben sie vielen Menschen und auch der Kirche einen extrem wichtigen Dienst erwiesen. Danke, großartig. Gratuliere von Herzen!!!