Die neuen Herausforderungen für Schule und Bildung
Dass sich die Bundesregierung in ihrem Koalitionsprogramm ausdrücklich zum konfessionellen Religionsunterricht und den Ethikunterricht für Kinder, die keinen Religionsunterricht besuchen, bekennt, wertete Pinz als wichtiges Signal. Schule finde heute im Kontext einer großen kulturellen, ethnischen und religiösen Vielfalt statt. Religionsunterricht helfe mit dieser Pluralität umzugehen, weil er das Erlernen einer "Grammatik des Religiösen" ermögliche.
An den neuen Bildungsminister Heinz Faßmann richtete Pinz die Bitte, die Lehrerbildung an den Pädagogischen Hochschulen weiter zu stärken. Viele Probleme in Klassenzimmern entstehen aus ihrer Sicht auch dadurch, dass in der Lehrerausbildung noch nicht genug auf die Herausforderungen im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Vielfalt eingegangen wird. Dabei seien gerade Lehrer "die Entscheidenden, die Schule machen, Gesellschaft prägen und Menschen bilden".
Auch die Leistung der Pädagoginnen in Kindergärten müsse stärker gewürdigt werden. In der jüngsten Übersiedlung der zuvor beim Familienministerium liegen Bundeskompetenzen zur Elementarpädagogik ins Bildungsministerium sieht Pinz daher ein "gutes Zeichen".
Die kirchliche Bildungsexpertin verteidigte auch das differenzierte Schulsystem aus Gymnasien und Neuen Mittelschulen in Österreich, ein System "um das uns auch viele beneiden", wie Pinz sagte. Wesentlich sei aber, dass beide Schulformen gesellschaftlich gleichwertig beurteilt werden müssten und auch das berufsbildende Schulwesen eine Aufwertung erfährt. "Auch der Lehrberuf muss gesellschaftlich die Anerkennung erhalten, die er verdient."
Nein zu schulischer "Testmaschinerie"
Der Bildungsforscher Stefan Hopmann analysierte in einem längeren Vortag vor den rund 250 Besuchern das Bildungskapitel im Regierungsprogramm der neuen VP/FP-Koalition. Kritisch sah er dabei den bildungspolitischen Fokus auf Themen wie Notengebung und Versuche zur Objektivierbarkeit der Leistung von Lehrern. Die schulische "Testmaschinerie" zerstöre schon jetzt vielerorts "sehr viel von möglicher Unterrichtsqualität, aber das Koalitionsprogramm fordert ausdrücklich noch mehr Tests, Standards, mehr Rückmeldungen", schilderte Hopmann. Solche Versuche hätten noch nirgends funktioniert, man müsse sie nicht nachmachen, verwies der Bildungsforscher auf internationale Forschungsergebnisse. "Warum kann man nicht akzeptieren, dass Schule eine zwischenmenschliche Begegnung mit Unwägbarkeiten ist, und es ein wichtiger Teil ist, zu lernen damit umzugehen?"
Hopmann plädierte ausdrücklich für mehr Freiräume auf der lokalen Ebene des Schulsystems. Angesichts der massiven öffentlichen Debatten müsse man auch in Erinnerung rufen, dass Österreich im Vergleich eines der besten Schulsysteme der Welt habe - allerdings funktioniere es teils vor allem auch deswegen, "weil die Leute einfach machen, egal was in irgendwelchen Vorschriften steht", meinte der Bildungsforscher wörtlich. In Österreich sei man "Weltmeister im Erfinden von lokalen Lösungen".
Regierungsversuche, mit "zentralen Stellschrauben ein System aufzumöbeln", sind hingegen aus Sicht Hopmanns zum Scheitern verurteilt. Vielmehr müsse man die Schulen vor Ort dabei unterstützen, für ihre jeweilige Klientel und Umgebung brauchbare Lösungen zu finden. Seine Empfehlung: "Locker lassen und die Beteiligten in die Lage versetzen, für die Kinder, die nun mal da sind, und die Schule, die sie nun mal haben, was Vernünftiges zu tun." Die wichtigste Schulreform, so Hopmann, sei in Wirklichkeit gar keine Reform, "sondern dass man die Unterschiedlichkeit von Lebenswegen, Fähigkeiten, Sprache und Religionen akzeptieren lernt und als Chance begreift".
Taschner: Struktur ein "Problem zweiter Größe"
ÖVP-Bildungssprecher Rudolf Taschner, der den kurzfristig verhinderten Bildungsminister Heinz Faßmann bei der Veranstaltung vertrat, betonte, dass Schule das aus der Begegnung von Jerusalem, Athen und Rom - also dem Rechtsdenken Roms, der philosophischen Vernunft der Griechen sowie der jüdisch-christlichen Transzendenz und dem Blick auf den Menschen als Ebenbild Gottes - entstandene Wertesystem vermitteln müsse. Grundkompetenzen wie Lesen, Rechnen und Schreiben seien die Basis, um genau das verstehen zu können. "Wir brauchen diese Wurzeln", mahnte der Mathematiker, sonst sei der Mensch etwa den umwälzenden Entwicklungen der Digitalisierung ausgeliefert.
Taschner hob wie andere Redner die Bedeutung von guten Lehrern hervor: "Struktur ist ein Problem zweiter Größe, wenn es gelingt, Lehrer davon zu überzeugen, dass sie nicht für Geld, sondern für Zukunft des Landes tätig sind. Dann haben wir gewonnen."
Strolz: Der Spaltung gegensteuern
NEOS-Klubobmann Matthias Strolz schilderte beim abschließenden Podiumsgespräch, an dem auch die Vorsitzende der AHS-Direktorenkonferenz Isabella Zins und Bundesschulsprecher Harald Zierfuß teilnahmen, seinen Blick auf Bildung als "Schlüssel zur Selbstermächtigung des Menschen".
Wertevermittlung bezeichnete auch Strolz als eine der zentralen Aufgabe von Schule. Hier baue man auf dem jüdisch-christlichen Erbe, der griechischen und römischen Kultur und der Aufklärung auf. "Wir sind derzeit aber nicht imstande, auch nicht im konfessionellen Religionsunterricht, das in jener Breite zu vermitteln, wie wir es uns wünschen als Europa", sagte der Nationalratsabgeordnete. Dabei erneuerte er seine Forderung nach einem Pflichtfach "Ethik und Religionen" für alle Schüler.
Er persönlich etwa sei "heilfroh", dass seine Kinder zu den Pfadfindern gehen, meinte Strolz: "Dort lernen sie Dinge, in einer Art von Beziehungsarbeit und Werteauseinandersetzung, die sie in der Schule nicht lernen, weil es die Schule derzeit nicht leisten kann." Wichtig sei, einander Wertefragen zuzumuten.
Mit Blick auf die Integration postulierte der NEOS-Klubobmann die soziale Durchmischung als eine der Kernaufgaben für das Bildungssystem. Die Spaltung der Gesellschaft schreite fort, und wenn das Bildungssystem nicht gegensteuere, "werden in 30 Jahren unsere Gartenzäune brennen".
Zu dem Symposion im Raiffeisenforum in Wien-Leopldstadt hatte die AKV unter dem Titel "Integration, Wertevermittlung und Digitalisierung: Neue Herausforderungen für Schule und Bildung" geladen.
Impressionen der Veranstaltung finden Sie unter diesem Link
Titelbild (c) Florian Franz Feuchtner