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Christen werden verfolgt – und was tun wir?

Der Westen sollte die Verfolgung von Christen endlich ebenso ernst nehmen wie Islamophobie und Antisemitismus.

Paul Widmer (Gastautor) 3 min
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80 Prozent aller Menschen, die heute ihres Glaubens wegen verfolgt würden, seien Christen.

80 Prozent aller Menschen, die heute ihres Glaubens wegen verfolgt würden, seien Christen.

Gabi Kopp

Vier Jahre lang vertrat ich die Schweiz im Europarat in Strassburg. In den wöchentlichen Sitzungen der Botschafter aus 47 europäischen Staaten sprach man, soviel ich mich erinnere, nur ein einziges Mal über verfolgte Christen. Es war der österreichische Botschafter, der das Thema aufbrachte, sekundiert vom russischen und vom französischen Kollegen.

Alle drei fanden, man sollte auch einmal darüber sprechen – und nicht nur über Islamophobie, eine feindselige Haltung, die in der Plenarversammlung, zu Recht, immer wieder zur Sprache kam. Im Übrigen Schweigen. Sind Christenverfolgungen also kein Thema?

Auf der ganzen Welt werden Millionen von Menschen wegen ihres Glaubens verfolgt: Muslime, Jesiden, Buddhisten – aber auch Christen. An einer internationalen Tagung in Genf erklärte der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch kürzlich, das Christentum sei die meistverfolgte Religion der Welt. 80 Prozent aller Menschen, die heute ihres Glaubens wegen verfolgt würden, seien Christen. Es gebe in unserer Zeit mehr Märtyrer als in den ersten Christenverfolgungen im Römischen Reich.

Ähnlich sieht es die Organisation Open Doors. Sie überwacht die Lage und kommt zum Schluss, dass monatlich etwa 345 Christen aus Glaubensgründen getötet werden. Besonders alarmierend ist die Lage im Nahen Osten und im nördlichen Afrika, insbesondere in Nord- und Mittel-Nigeria. Dort nehmen Angriffe auf Kirchen und christliche Schulen bedenklich zu. Christen bleibt oft nichts anderes übrig, als in den mehrheitlich christlichen Süden zu fliehen.

Gewiss haben nicht alle Gewalttaten primär mit Religion zu tun. Die Auseinandersetzungen zwischen muslimischen Nomaden und christlichen Bauern in Nigeria sind oft eher wirtschaftlich begründet. Man streitet sich um Weiden und Weiderechte. Aber das erklärt bei weitem nicht alles.

Über verfolgte Christen wird nicht gesprochen

Viele Christen müssen einzig ihres Bekenntnisses wegen sterben - etwa 21 koptische Gastarbeiter in Libyen. IS-Terroristen pickten die Christen aus der Menge heraus und forderten sie einzeln auf, ihrem Glauben abzuschwören. Doch jeder von ihnen weigerte sich. Dann schlugen die Fanatiker einem Kopten nach dem andern den Kopf ab. Der deutsche Schriftsteller Martin Mosebach hat den Märtyrern in seinem jüngsten Buch, «Die 21», ein ergreifendes Denkmal gesetzt.

Warum spricht man bei uns im Westen so wenig von den verfolgten Christen? Wahrscheinlich, weil sich viele fürchten, ein Eintreten für Christen könnte als verkappte Islamophobie denunziert werden. Und das möchte man unbedingt vermeiden. Daher hüllt man sich lieber in Schweigen – selbst dann, wenn die besondere Schutzbedürftigkeit von Christen mit Händen greifbar ist. Dazu ein Beispiel.

Hunderttausende mussten in den letzten Jahren aus Syrien fliehen. Einige versuchten, in die Schweiz zu gelangen, darunter auch Christen. Doch diese erhielten keine Vorzugsbehandlung. Die Haltung des Bundesrates war klar: Alle Flüchtlinge werden gleich behandelt. Das ist im Prinzip richtig – aber in einzelnen Fällen falsch.

Gewalt gegen Christen verdiene die gleiche Aufmerksamkeit wie Islamophobie oder Antisemitismus.

Ist Christen, die wegen religiöser Verfolgung erst aus dem Irak nach Syrien fliehen mussten und dann von islamistischen Fanatikern erneut in die Flucht getrieben wurden, die Weiterschiebung in ein drittes muslimisches Land zumutbar? Natürlich nicht.

Sie verdienen – wie übrigens die Jesiden auch – eine Vorzugsbehandlung durch westliche Staaten. Muslimen dagegen ist die Unterbringung in den muslimischen Nachbarländern in den allermeisten Fällen durchaus zuzumuten.

Erfreulicherweise gibt es Anzeichen dafür, dass das Problem verfolgter Christen endlich ins Visier westlicher Staaten gerät. Im Juli stellte der damalige britische Aussenminister Jeremy Hunt einen Bericht vor, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Bei der Präsentation meinte er, es sei höchste Zeit, mit einer fragwürdigen politischen Korrektheit aufzuräumen.

Diese habe den Westen bisher daran gehindert, für verfolgte Christen einzutreten. Gewalt gegen Christen verdiene die gleiche Aufmerksamkeit wie Islamophobie oder Antisemitismus. Der Bericht enthält unter mehreren Empfehlungen auch folgende: Die britische Regierung solle, wenn Gewalt gegen Christen vorliege, die Gewaltakte ausdrücklich als antichristlich bezeichnen und sich nicht hinter unverbindlichen Formulierungen verstecken.

Da fragt man sich: Was tut sich in der Schweiz? Gibt es auch nur entfernt ähnliche Äusserungen von einem Parlamentarier oder gar von einem Bundesrat?

Paul Widmer war Diplomat und lehrte internationale Beziehungen an der Uni St.Gallen.

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